Was unterscheidet eigentlich Heftchenromane von anspruchsvollen Büchern? Und wie sieht es mit den Bestsellern aus, die genau im Mainstream liegen, und von sehr vielen Menschen gelesen werden? Ich haben mir Gedanken gemacht, worin sich literarische Bücher, Mainstream und Heftchenromane unterscheiden.
In der Literaturwissenschaft und in der öffentlichen Diskussion beispielsweise in Zeitungen oder Fernsehsendungen gab und gibt es immer wieder das Bemühen, zwischen “Hochliteratur”, oft kurz “Literatur” genannt, und der “Trivialliteratur” zu unterscheiden. Um feiner unterscheiden zu können, wird gelegentlich von drei Arten der Literatur gesprochen: (Hoch-)Literatur – Unterhaltungsliteratur – Trivialliteratur. Doch sowohl die Zweiteilung als auch die Dreiteilung greift für mich zu kurz. Deshalb schlage ich ein neues Konzept vor, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Büchern besser beschreiben zu können.
Genres gibt es bei allen Büchern
Das größte Problem: Es gibt keine klaren Grenzen und die Beschreibungen bleiben sehr vage. Denn die Einteilung von Büchern in zwei oder drei Kategorien ist nicht möglich. Es gibt kein Entweder – Oder. Es lässt sich nicht zweifelsfrei für jede Art von Buch sagen, wo es nun hingehört, ob zur Literatur oder zur Unterhaltungsliteratur. Schon die Begriffe sind problematisch, da sie unterstellen, dass Literatur nicht der Unterhaltung dient.
Ich habe deshalb ein eigenes Konzept entwickelt: Ich gehe davon aus, dass sich Bücher auf einem Kontinuum anordnen lassen. Auf der einen Seite stehen für mich die Klassiker der Literatur wie Goethe und Schiller, auf der gegenüberliegenden Seite ordne ich die sogenannten Heftchenromane an. Dazwischen befindet sich ein weites Feld von Büchern aller Art. Ungefähr in der Mitte würde ich Bücher ansiedeln, die ein breites Publikum erreichen, also im sogenannten Mainstream liegen und damit dem Geschmack einer großen Mehrheit entsprechen.
Alle Bücher, egal ob Klassiker, Mainstream oder Heftchenromane, können einem bestimmten Genre angehören – oder eben nicht. Je mehr von den Merkmalen eines Genres auf ein Buch zutreffen, desto eher ist es diesem Genre zuzuordnen. Treffen die Genre-Merkmale nicht zu oder sind es Merkmale verschiedener Genres, so ist das Buch nicht eindeutig einem bestimmten Genre zuzuordnen oder enthält einen Genre-Mix.
Die Regeln der Spannung
Ebenfalls allen Büchern gemeinsam ist, dass die Regeln des Handwerks erkennbar sein können – oder eben nicht. Mit „Regeln“ meine ich bestimmte Regelmäßigkeiten, die den überlieferten und auch vielen modernen Geschichten zueigen sind. Diese Regelmäßigkeiten, das sind die Regeln des traditionellen Erzählens. Dazu gehören beispielsweise ein zusammenhängender Handlungsverlauf, ein dramatisierter Plot mit Höhepunkt und Wendepunkten, starke Hauptfiguren und vieles mehr. Die Regeln des traditionellen Erzählens sind bei vielen Büchern erkennbar und zielen darauf ab, Spannung aufzubauen. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich viele Menschen, unter ihnen Aristoteles, Goethe und Schiller, mit diesen Regeln beschäftigt und sich Gedanken darüber gemacht, was einer guten Geschichte dient.
Die Unterschiede
Was unterscheidet nun die literarischen Bücher von den Heftchenromanen? Also die Bücher von der einen Seite des Kontinuums von denen auf der anderen Seite? Die Individualität. Je individueller ein Werk, je eigenständiger und eigenwilliger die Regeln des traditionellen Erzählens umgesetzt werden, desto eher ist es der Literatur zuzurechnen. Die AutorInnen von Heftchenromanen haben enge Vorgaben, sie schreiben die Geschichten sehr gekonnt und regelhaft. Je mehr ein Buch dieser Seite des Kontinuums zuzurechnen ist, desto schematischer sind die Regeln umgesetzt. Die Bücher des Mainstream befinden sich auf dem Kontinuum in der Mitte, weil sie im Gegensatz zu Heftchenromanen bereits individueller und eigenständiger sind. Je weiter ein Buch auf dem Kontinuum jenseits der Mitte Richtung Literatur anzunehmen ist, desto freier sind die Regeln interpretiert, desto individueller ist das Ergebnis, desto mehr haben wir es mit Kunst zu tun. Und Kunst heißt, die Regeln brechen.
Je besser man die Regeln des traditionellen Erzählens kennt, desto gezielter kann man sie brechen. Kunst heißt auch, eine möglichst große Wirkung zu erzielen. Je geringer die Mittel und je größer die Wirkung, desto kunstvoller. Gemäß diesem Grundsatz interpretieren literarische Bücher die Regeln sehr frei oder brechen sie. Je größer die Wirkung des Buchs und je eigenwilliger das Schreiben, desto eher wird es der Literatur zugerechnet. Je weiter ein Buch jenseits der Mitte anzusiedeln ist, desto eher hat es die Autorin oder der Autor geschafft, etwas Einzigartiges zu schreiben. Etwas, das im Gedächtnis bleibt.
Literatur kontra Spannung?
Doch bei vielen literarischen Büchern bleibt die Spannung auf der Strecke. Heftchenromane nutzen altgediente Muster und ein begrenztes Repertoire an Stoffen. Bücher des Mainstream interpretieren die Regeln sehr viel freier, brechen sie aber nicht. Denn die Regeln sind seid Jahrhunderten erprobt und helfen dabei, möglichst viel Spannung aufzubauen. Je eigenwilliger die Regeln interpretiert und je öfter sie gebrochen werden, desto größer ist das Risiko, dass die Spannung auf der Strecke bleibt. Literarische Bücher brechen oft die Regeln, denn die Spannung steht nicht im Vordergrund, vielmehr geht es um Ästhetik und Einzigartigkeit. Doch viele Menschen lesen gern spannende Bücher. Deshalb erreichen literarische Bücher häufig nur ein begrenztes Publikum. Außerdem fordern Kunstwerke oft heraus, das ist ihre Aufgabe – und auch das führt dazu, dass die Meinungen oft weit auseinander gehen. Es gibt auch literarische Bücher, die viele Regeln sehr eigenwillig umsetzen und manche Regeln brechen, so dass sie ein hohes Maß an Individualität erreichen, und dennoch ein breites Publikum ansprechen. Diese Bücher brechen die Regeln so gekonnt, dass die Spannung nicht auf der Strecke bleibt. Dazu gehört für mich beispielsweise „Das Parfum“ von Patrick Süskind.
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Geschmack und Qualität
In engagierten Diskussionen über Bücher wird gelegentlich Geschmack mit Qualität verwechselt. Was einem Menschen gefällt, ist gut. Was einem Menschen nicht gefällt, ist schlecht. Liest eine Person nur literarische Bücher und findet nur diese ansprechend, so werden oft alle anderen Bücher als “schlecht” beschrieben. Doch Bücher wie “Die Tribute von Panem” sind gut gemacht und gut geschrieben, sonst könnten sie kein Millionenpublikum erreichen. Für mich gibt es kein „besser“ oder „schlechter“, keine „guten Bücher“ oder „schlechten Bücher“. Alle Bücher haben ihre Daseinsberechtigung. Die oft ideologisch geführte Diskussion um den Wert von Büchern scheint mir vollkommen am eigentlichen Sinn von Büchern vorbeizugehen. Denn alle Bücher erfüllen auf ihre Weise einen bestimmten Zweck. Egal was es ist, ob Bücher unterhalten oder entspannen, ob sie erbauen, zum Nachdenken anregen oder ästhetische Bedürfnisse erfüllen, ob es literarische Bücher sind oder Heftchenromane – wenn sie ihren Zweck erfüllen, dann sind sie gut.
Vielen Dank für diesen Artikel!
Ich bin 18 Jahre alt und vor Kurzem zur Eignungsprüfung für den Studiengang Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim eingeladen worden. Natürlich bin ich sehr aufgeregt und versuche, mich bestmöglich darauf vorzubereiten, um die Prüfung auch zu bestehen.
Allerdings ist mir das Hildesheimer Literaturverständnis ein vollkommenes Rätsel. (Oder war es bis vor diesem Artikel.)
Die Module, die in der Studienordnung vorgestellt werden, klingen alle ziemlich praxisorientiert, handwerklich und realitätsnah. (Das finde ich schonmal gut.)
Die zwei Romane, die ich von Hildesheimer Autoren gelesen habe, würde ich zum Mainstream zählen, es handelt sich dabei um einen Liebesroman und einen Coming of Age-Roman. (Finde ich auch gut, zumal mir die beiden Bücher sehr gefallen haben.)
Die Hildesheimer Anthologie von 2016, die ich gelesen habe, war da schon durchwachsener. Es waren Geschichten dabei, die ich mochte, die ich nicht mochte und welche, die ich einfach nicht verstanden habe. Da müssen sich die Autoren doch irgendwas bei gedacht haben, auf das ich einfach nicht komme, oder?
Allerdings habe ich auch schon in Erfahrung bringen können, dass es den Hildesheimern nicht unbedingt darum geht, in Texten eine Botschaft zu vermitteln. Finde ich auch in Ordnung, ich mag zwar Geschichten mit Botschaft, aber sie müssen auch keine haben.
Meine Definition davon, wann Bücher/ Texte gut sind, ist ähnlich wie in diesem Artikel: Wenn mir das Buch etwas gibt, war es gut. Spannung. Witz. Andere Gefühle. Etwas zum Nachdenken.
In Hildesheim scheint man das aber nicht so zu sehen. Denn Genreliteratur gibt’s dort nicht. Oder zumindest nicht so richtig.
Dank diesem Artikel verstehe ich, glaube ich, etwas besser warum: Ich vermute, an solchen Universitäten soll der Eindruck vermittelt werden, Künstler heranzuziehen. Und Bücher, die etwas offensichtlicher einem Genre angehören als andere Bücher, wie Krimi oder Fantasy, sind laut der Meinung der meisten eben auch offensichtlicher, tja, was auch immer, jedenfalls keine Kunst. (Soeben habe ich den Beschluss gefasst, mich irgendwann an einem künstlerischen Fantasy-Roman zu versuchen, in dem ich möglichst viele Regeln breche.) Ich vermute mal, die Studenten und Dozenten sind, je nachdem, mehr oder weniger bemüht, Kunst zu produzieren, bzw. zu lehren. Die Geschichten aus der Anthologie, die ich nicht verstanden habe -die sollten wohl Kunst sein.
Dank dieser Erkenntnis kann ich nun auch beginnen, auszuarbeiten, was ich bei der Eignungsprüfung rund ums Thema Literaturverständnis sagen könnte. “Ihr habt ja nur Angst, den Stempel ‘Hier wird Kunst gelehrt’ zu verlieren, deshalb gibt es bei euch keine ‘Genreliteratur'” kommt, glaube ich, nicht so gut. :D
Aber ich bin mir sicher, ich finde ein Mittelmaß. Nicht zu angepasst, aber auch nicht zu radikal. Mainstream halt. Wie die beiden Romane, die ich gelesen habe. Und ich mag ja Mainstream -warum also nicht auch im Eignungsgespräch? Hauptsache, es ist trotzdem die Wahrheit. Vielleicht nicht die ganze. Aber in einer Geschichte kann man ja auch nie die ganze Wahrheit abbilden. Die Welt passt schließlich nicht zwischen zwei Buchdeckel.
Hallo Kaja,
ich wünsche Ihnen viel Glück und viel Erfolg für die Eignungsprüfung!
Viele Grüße
Anette Huesmann
Sehr geehrte Frau Dr. Huesmann,
ich bin gerade per Zufall auf Ihre Seite gestoßen und bin begeistert. Da ich gerade an einem Schreibratgeber für Romanautoren arbeite, war ich so frei und setzte einen Link zu Ihrer Seite mit hinein.
Ich denke, dass ich noch öfter auf Ihrer Homepage landen werde, um zu recherchieren. Es taten sich auch für mich einige Erkenntnisse auf, über die ich mir schon seit Jahren den Kopf zerbrach.
Zu meiner Person: Ich schreibe unter dem Pseudonym Sina Katzlach und bin eine Selfpublisherin, hauptsächlich ebooks. Meine Hausplattform ist BookRix, ab und zu veröffentliche ich direkt über Amazon.
Da ich Wert darauf lege, ein breites Spektrum bedienen zu können, ist Ihre Homepage für mich absolut Gold wert.
Ich hoffe, diese Seite bleibt uns Autoren lange erhalten.
Mit freundlichem Gruß
Sina Katzlach
Sie sind erfrischend undogmatisch und entwickeln so den nötigen Pragmatismus, der mich überzeugt, nun auch Ihre weiteren Artikel zu lesen. Ich freue mich auf die Lektüre!
Sehr verehrte Frau Dr. Huesmann, ich schreibe und publiziere seit mehr als einem halben Jahrhundert Romane und Texte so ziemlich aller Art. Dennoch muss ich Ihnen ein Kompliment machen: So klar und einfach wie Ihre Definition von Trivialliteratur über Mainstream bis zur “eigentlichen” Literatur habe ich’s noch nie gelesen. Herzlichen Dank dafür.