Romane brauchen einen guten Einstieg, um das Interesse an der Geschichte und an den Figuren zu wecken, um aus Interessierten begeisterte Leser*innen in zu machen. Doch nicht nur der Romananfang entscheidet darüber, wie (potenzielle) Leser*innen ein Buch beurteilen, mindestens ebenso wichtig ist das Romanende.
Nehme ich einen mir unbekannten Roman in die Hand, so sind neben dem Cover und dem Klappentext vor allem die ersten Sätze entscheidend, ob ich das Buch wieder zur Seite lege oder weiterlese. Doch nur wenn ich dranbleibe – weil ich die Geschichte, die Figuren und/oder die Art des Erzählens mag – lese ich auch das Ende des Buchs. Und der Romanausstieg entscheidet, wie es nun weitergeht. Denn das Ende trägt wesentlich dazu bei, aus Leser*innen echte Fans zu machen. So dass sie dran bleiben und auch weitere Bücher des Autors bzw. der Autorin lesen wollen. Womöglich greifen sie sogleich zur Computermaus und bestellen weitere Bücher. Ist dagegen der Ausstieg enttäuschend, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Leser*innen sich den Namen der Autor*in abspeichern und zu weiteren Romanen greifen.
Anfang und Ende eines Romans spielen eine ähnlich wichtige Rolle. Doch die Art der Wirkung ist eine vollkommen andere. Der Anfang eines Romans muss überzeugen: sprachlich, inhaltlich, emotional. Er muss Interessierten Lust machen auf mehr, so dass sie mehr erfahren möchten über die Figur und ihr Schicksal. Der Romananfang muss das erste Interesse wecken und in die Geschichte hineinziehen. Das Romanende wiederum sollte nicht enttäuschen, sonst beenden die Leser*innen das Buch mit einem schalen Gefühl, das die Lesefreude nachträglich sehr trüben kann.
Das Ende eines Romans sollte nicht enttäuschen
Um nicht zu enttäuschen, muss das Romanende befriedigend sein. Und zwar befriedigend in jeglicher Hinsicht: Es muss zur Geschichte passen und die Handlung zu einem logischen Ende bringen. Kurz: Er muss überzeugend sein. Beispielsweise der Schluss eines Kriminalromans: Ist er gut gemacht, endet die Geschichte für die Leser*innen überraschend. Zugleich muss das Ende so schlüssig sein, dass es die Leser*innen nicht verärgert, sondern den Eindruck hinterlässt Hätte ich mir eigentlich denken können, wenn ich länger darüber nachgedacht hätte. Der Schluss ist somit nicht nur überraschend, sondern zugleich glaubwürdig und schlüssig. Also im besten Sinne befriedigend.
Anders dagegen, wenn ein Romanende Ärger hervorruft, weil es unglaubwürdig oder wenig überzeugend ist. Das geschieht vor allem dann, wenn der Schluss im negativen Sinne überraschend wirkt, wenn er sich nicht schlüssig aus der Handlung ergibt. Das Theater kennt für diese Art von überraschenden Ereignissen den Begriff Deus ex machina, zu deutsch Gott aus der Maschine. Im griechischen Theater war damit eine Szene gemeint, in der mit Hilfe einer Theaterbühnenmaschine eine Gottheit auf der Bühne auftaucht und die Figuren unterstützt. Heute beschreibt Deus ex machina Entwicklungen in einer Geschichte, die sich nicht aus der Handlung ergeben, sondern rein zufällig sind und den Figuren helfen, ihr Ziel zu erreichen.
Um befriedigend zu sein, muss sich das Ende eines Romans glaubwürdig und schlüssig aus den bis dahin stattfindenden Ereignissen entwickeln. Doch glaubwürdig heißt nicht realistisch. Denn die realistische Entwicklung einer Geschichte würde bedeuten, diese und ähnliche Ereignisse kennen wir aus unserem eigenen Leben, das hätte uns oder auch anderen passieren können. Glaubwürdig dagegen bedeutet, die Ereignissen entwickeln sich schlüssig aus dem Verhalten und den Taten der Figuren. Das heißt, das Geschehen ist nachvollziehbar. In diesem Sinne muss das Ende eines Romans nicht realistisch sein, aber es muss glaubwürdig sein.
Ein befriedigendes Romanende sollte sich nachvollziehbar aus den Ereignissen der Geschichte ergeben. Kämpft eine Figur über 300 Seiten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, so darf sie scheitern. Doch wenn sie sich erneut aufrappelt und weiterkämpft, kann sie am Ende aus eigener Kraft ihr Ziel erreichen – trotz aller Hindernisse, trotz ihres Scheiterns, trotz verzweifelter Momente. In diesem Fall nehmen wir ein Happy End gnädig hin. Um nicht zu sagen: Wir wünschen uns ein Happy End für die Hauptfigur. Denn wir haben viele Seiten lang mit ihr mitgefiebert, um sie gebangt und mit ihr gelacht, und uns am Ende mit ihr gefreut, dass sie es doch noch geschafft hat – glaubwürdig, schlüssig und nachvollziehbar.
Auch Geschichten mit einem offenen oder einem tragischen Schluss finden nur Gnade vor unseren Augen, wenn sich das Ende glaubwürdig und nachvollziehbar aus der Handlung der Figur ergibt. Beispielsweise der Tod von Goethes Hauptfigur in Die Leiden des jungen Werther oder von Süskinds Hauptfigur in Das Parfum. In beiden Romanen hat die Hauptfigur aktiv und willentlich zum tragischen Ende beigetragen. Wir sind auch gnädig, wenn am Ende einer Geschichte das Schicksal dem Helden oder der Heldin den greifbar nahen Triumph aus den Händen schlägt. In solchen Fällen wirkt der Schluss sowohl glaubwürdig als auch realistisch. Denn das kennen wir aus unserem eigenen Leben.
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Ein unbefriedigender Schluss
Weitaus weniger Gnade findet ein Romanende, wenn die Erfüllung all ihrer Träume der Heldin zum Schluss unerwartet in den Schoss fällt. Nachdem sie mehrere hundert Seiten lang gekämpft hat, gestrauchelt ist, sich wieder gefangen hat, weiter gekämpft hat, gegen alle Widrigkeiten. Doch dann gewinnt sie am Ende nicht aus eigener Kraft, sondern dank der Unterstützung anderer Figuren oder gar dank eines Zufalls. Deus ex Machina. Das ist ein unbefriedigender Schluss in jeglicher Hinsicht. Wenig realistisch. Wenig glaubwürdig. Wenig nachvollziehbar.
Beispielsweise in dem Roman Eine Frage der Chemie von Bonnie Garmus. Das ist ein wundervolles Buch mit eigenwilligen, liebenswerten Charakteren, schlüssiger und spannender Handlung, wunderbar geschrieben. Doch dann, ganz am Ende, erreicht die Hauptfigur ihr Ziel durch einen Glücksfall. Denn zum Schluss taucht ganz überraschend eine andere Frau auf, die verschollene Mutter ihres verstorbenen Freundes. Sie wird im Buch tatsächlich als Fee bezeichnet, die freundlicherweise zu ihrem Feenstaub greift, aka Scheckbuch, und der Hauptfigur ihren Wunsch erfüllt, für den sie seit mehr als 300 Seiten gekämpft hat. Unrealistisch. Nicht glaubwürdig. Wenig nachvollziehbar. In jeglicher Hinsicht unbefriedigend.
Liebe Frau Dr. Huesmann,
wieder einmal ein konstruktiver und gleichsam lehrreicher wie unterhaltsamer Blogartikel. Dafür vielen Dank! Jedem Wort kann ich beipflichten und habe darüber hinaus noch ein paar Beispiele aus der Fantasy. Während beispielsweise Band 1 der »Eragon«-Reihe und Band 1 der Zwergen-Trilogie von Markus Heitz einen nachvollziehbar erreichten und damit befriedigenden Schluss aufweisen, ließ mich das Ende der Zwergen-Trilogie mit Wehmut zurück. Nicht unbedingt, weil der Held, mit dem ich alle drei Bände lang mitgefiebert hatte, starb (die Forderung „Kill your Darlings“ mal wörtlich genommen), sondern, weil er sang- und klanglos unterging. Dadurch, dass er mit Hunderten weiterer Kämpfer in einer Feuerglut einfach verging, verfiel er der Bedeutungslosigkeit. Bei aller schriftstellerischen Qualität der Reihe empfand ich das Ende regelrecht unwürdig. Ein schlimmeres Beispiel für ein unbefriedigendes Ende – diesmal mit dem tatsächlich körperlichen Auftauchen des „Deus ex Machina“ liefert Stan Nicholls in seinem Werk „Die Orks“. Nach einer teils wirren Handlung, die manchmal schwer nachzuvollziehen war, steht das Häuflein der verbliebenen Orks in auswegloser Lage einer Übermacht gegenüber: keine Möglichkeit, den bevorstehenden Kampf zu überleben, keine Möglichkeit zu Flucht oder Rückzug. Dann: Tusch! Es erscheint eine göttliche Gestalt, öffnet in der Mitte der unterirdischen Kammer ein magisches Tor, durch das die Orks nun seelenruhig und von ihren Gegnern unbehelligt ins Paradies einziehen. Lebend! Da hilft es auch nicht, dass dieses Gottwesen behauptet, in verschiedenen Erscheinungen dem Trupp Hinweise für seine Mission gegeben zu haben. Ich glaube, auch vom negativen Beispiel kann man lernen. Wer „Die Orks“ analytisch und kritisch liest, mag das bestätigen, und er fragt sich wie ich, wie sich Piper erdreisten konnte, im Klappentext der „Zwerge“ dieses Werk damit auf eine Stufe zu stellen. Wahrscheinlich, weil es genauso dick ist und vom selben Verlag stammt.
Eine Anregung habe ich noch. Nachdem ich Beispiele aus dem Genre Fantasy vorgetragen habe, möchte ich kurz den Blick auf den Kriminalroman richten. Hier ist der Alptraum versierter Krimi-Fans der im Blogartikel nicht genannte „Kommissar Zufall“, der an Stelle des unfähigen Ermittlers den Fall löst und dem Roman nach vielen falschen Spuren und Rückschlägen ein unbefriedigendes Ende beschert.
Nochmals ein Dankeschön für den Artikel!
Beste Grüße
Michael Kothe, Autor
Sehr gut geschrieben, wie immer. Die Tips der Schreibtrainerin lassen sich direkt in die Praxis umsetzen!