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Interessante Figuren erschaffen

Romanfiguren müssen das Interesse der LeserInnen an ihrem Schicksal wecken und über viele Buchseiten hinweg wach halten. Deshalb sollten wir bei der Figurenentwicklung nichts dem Zufall überlassen. Im ersten Schritt geht es darum, welche Eigenschaften interessante Figuren haben.

Glaubwürdige Romanfiguren entwickeln

Eine Romanfigur sollte bei den LeserInnen eine emotionale Reaktion auslösen und dadurch in Erinnerung bleiben. Denn was uns bewegt, vergessen wir nicht so schnell wieder. Doch es muss nicht unbedingt Sympathie sein. Patrick Süskind hat mit der Figur Jean-Baptiste Grenouille in seinem Roman „Das Parfum“ gezeigt, dass auch unsympathische Hauptfiguren in die Geschichte reinziehen können. Doch wenn es nicht Sympathie ist, die das Interesse weckt, was ist es dann?

Spannende Romanfiguren entwickeln

Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die wir bei anderen Menschen interessant finden. Die gleichen Eigenschaften sind es, die unser Interesse für eine Romanfigur wecken. Die Figur muss nicht alle Eigenschaften gleichzeitig aufweisen, aber je mehr davon zusammenkommen, desto leichter wird sie es haben, den Kampf um Aufmerksamkeit zu gewinnen. Geraten unsere Figuren zu blass oder zu langweilig, so verlieren wir unsere LeserInnen schon auf den ersten Seiten. Es lohnt sich also bei der Figurenentwicklung darauf zu achten, dass wir unseren Protagonisten einige dieser Eigenschaften mit auf ihren Lebensweg geben: das „Startkapital“ für fesselnde Figuren.

1. Ein Ziel
Wir lieben es, andere Menschen zu beobachten, die ein bestimmtes Ziel erreichen möchten. Das lässt sich auch für die Figurenentwicklung nutzen. Ich gebe meiner Hauptfigur ein Ziel mit auf den Weg: Sie will unbedingt etwas erreichen, hat einen Traum, einen Wunsch, eine Sehnsucht oder eine Leidenschaft. Dabei kommt es nicht darauf an, wie groß der Wunsch oder das Ziel ist: Das kann ein bestimmter Job sein, ein Haus, eine Fahrt mit dem Heißluftballon, von einer bestimmten Person geliebt zu werden oder die Eroberung neuer Welten. Wichtig ist nur, dass die Figur mit allen Fasern ihres Herzens das Ziel erreichen möchte.
Und die LeserInnen wollen natürlich herausfinden, ob die Figur das schafft, und lesen weiter. Im Laufe einer Geschichte muss das Ziel nicht immer gleich bleiben. Meist durchläuft die Figur eine Entwicklung, die sich am Ende auch auf ihr Ziel auswirkt.

2. Willenskraft
Auf diese Weise wecken wir das erste Interesse unserer LeserInnen: Sie fiebern mit dem Protagonisten mit, der sich dabei abstrampelt, seinen Wunschtraum zu erfüllen. Schließlich wollen sie wissen, wie weit die Figur kommt. Aber die Geschichte bleibt nur interessant, wenn sich die Figur nicht entmutigen lässt. Wenn sie dran bleibt, trotz schwierigster Umstände. Dafür braucht sie einen starken Willen und die Bereitschaft, an ihrem Ziel festzuhalten gegen alle Widerstände. Das Ziel und der starke Wille eines Protagonisten ist der emotionale Angelhaken, mit dem wir die LeserInnen in unsere Geschichte hineinziehen.

3. Motiv und Fallhöhe
Doch die Figur braucht einen triftigen Grund, warum sie trotz aller Schwierigkeiten an ihrem Ziel festhält. Ohne diesen Grund bleibt sie schwach und unglaubwürdig. Im schlimmsten Fall wirkt sie lächerlich, wenn sie ein scheinbar unrealistisches Ziel verfolgt und immer wieder auf die Nase fällt. Das Motiv bündelt alle Fäden einer Geschichte und sorgt für die notwendige Glaubwürdigkeit. Hat eine Figur ein Ziel, ein starkes Motiv und die notwendige Willenskraft, dann wird sie unbeirrt an ihrem Ziel festhalten. Und die LeserInnen bangen und hoffen mit der Romanfigur, dass sie es am Ende auch schafft.
Das Motiv ist je nach Charakter der Figur natürlich sehr unterschiedlich. Es kann der Wunsch sein, Familienangehörige zu beschützen oder den jahrhundertealten Familienbesitz zu bewahren. Ein ebenso starkes Motiv ist es, geliebt zu werden oder seinen Lebenstraum zu verwirklichen. Auch eine unstillbare Sehnsucht oder ein tief sitzendes Gerechtigkeitsempfinden geben starke Motive ab. Nehmen wir als Leserin einer Figur ab, dass sie es nicht ertragen kann, wenn jemandem Unrecht geschieht, dann bleibt sie für uns glaubwürdig, auch wenn sie für die Gerechtigkeit große Entbehrungen in Kauf nimmt.
Teil des Motivs ist die Fallhöhe: Eine Figur will unbedingt etwas Bestimmtes erreichen. Schafft sie es nicht, so geschieht etwas Schreckliches. Das kann der Verlust eines geliebten Menschen sein, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Selbstachtung. Je größer die Fallhöhe, desto mehr hat die Figur zu verlieren und desto stärker ihr Motiv.

4. Bigger than life
Eine Geschichte ist eine Verdichtung von Ereignissen und Emotionen. Wir haben in jeder Sekunde unzählige Sinneseindrücke, Gedanken und Gefühle. Würden wir in einer Geschichte jede einzelne Minute der Geschehnisse schildern, alle Sinneseindrücke und Gefühle unserer Figuren, so wäre das ermüdend. Also verdichten wir die Ereignisse und konzentrieren uns auf das Wesentliche. Das gilt für die Handlung ebenso wie für die Figur.
Dennoch unterliegt eine Romanfigur allen Prinzipien des Mensch-Seins: Ihre Reaktionen und Gefühle sind nachvollziehbar. Sie handelt so, wie wir es von uns und anderen Menschen kennen. Doch unsere Figur ist eine Abstraktion, das komprimierte Abbild eines Menschen. Um sie für andere interessant zu machen, verstärke ich als Autorin die Wesenszüge und Eigenschaften, die wir an anderen interessant finden. Das können einzigartige Hobbies sein, herausragende Fähigkeiten oder schillernde Charaktereigenschaften. Zugleich verzichte ich auf Eigenschaften, die zwar zutiefst menschlich sind, aber nicht besonders hoch im Kurs stehen: Weinerlichkeit, Trübsinn, ein schwacher Wille. In unserer Geschichte konzentrieren wir uns auf die starken, spannenden Dinge und verstärken sie noch: Bigger than life.

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5. Klischees vermeiden
Natürlich sollten wir bei unseren Romanfiguren Klischees vermeiden. Denn Klischees sind langweilig, sie halten keine Überraschungen für die LeserInnen parat. Dennoch lassen sich Klischees für die Figurenentwicklung gezielt nutzen. Denn mit einem Klischee können wir eine Figur sehr schnell charakterisieren: der korrupte Politiker, die pingelige Hausfrau. Zwei Worte sind ausreichend, um ein Bild entstehen zu lassen. Damit es nicht beim Klischee bleibt, verbinden wir das Vertraute mit etwas Besonderem. Das macht die Figur einzigartig und hebt sie aus der Masse hervor. Auf diese Weise vermeiden wir das Klischee: Die Figur hat etwas Herausragendes, eine besondere Leidenschaft, Fähigkeit oder Charaktereigenschaft. Die pingelige Hausfrau, die eine gefährliche Spionin ist. Der korrupte Politiker, der mit dem Bestechungsgeld eine lebensrettende Operation für seinen Bruder bezahlt.

6. Die Schwäche
Perfekte Menschen sind zu glatt, um auf Dauer das Interesse an ihrem Schicksal wachzuhalten. Sie bleiben uns fremd und laden nicht zur Identifikation ein. Deshalb sollten Romanfiguren nicht zu perfekt sein: Sie müssen Brüche haben, etwas, das sie uns vertraut macht. Denn auch wir sind nicht perfekt. Niemand ist das. Eine Schwäche macht die Figur verwundbar und am Ende der Geschichte kann sie uns beweisen, dass sie ihre Schwäche überwindet.

Wenn Sie diesen Artikel mit Interesse gelesen haben, dann interessiert Sie vielleicht auch dieser Beitrag: Das Interesse an den Figuren über viele Seiten wachhalten.

1 Kommentar zu „Interessante Figuren erschaffen“

  1. Vielen Dank für diese kompakte Zusammenstellung.
    Auf Ihre Seite bin ich gestoßen, während ich für meine Geschichte konträre Charaktere gesucht hatte.

    Dabei ist mir klar geworden, warum die Gegensätze des Denkens in einem Menschen mit dem Handeln seiner Konkurrenten manchmal kaum zu unterscheiden und kurz darauf ins extremste Gegenteil umschwenken können.

    Es ist die Psyche, welche die Freud’sche Lehre in Perfektion umzusetzen versteht, ohne dem jeweiligen Protagonisten die Chance eines Ausweichens einzuräumen.

    Vermutlich ist das Leben deshalb ein ununterbrochener Fortsetzungsroman, welcher am Ende gnadenlos Bilanz zieht.

    Unsere Phantasie verleiht uns die Fähigkeit, mit Hilfe einer Geschichte Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen, welche uns im Leben verwehrt bleiben.

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